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Publisher Save the Children14.04.2022

ANTWORTEN AUF WIEDERKEHRENDE VORWÜRFE

Seit 2016 sind wir mit unserem Rettungsschiff „Vos Hestia“ auf dem Mittelmeer im Einsatz, um in Seenot geratene Flüchtlinge vor dem Ertrinken zu retten. Derzeit sehen wir und andere Hilfsorganisationen uns mit Vorwürfen konfrontiert, zu denen wir uns an dieser Stelle äußern wollen.

Gemma Parkin, Leiterin des Medienteams von Save the Children UK, war 2016 Teil der Besatzung unseres Rettungsschiffs „Vos Hestia“.  Sie hat die Rettungsaktionen hautnah miterlebt. Im Folgenden bezieht sie Stellung zu fünf Vorwürfen, die wir in den letzten Wochen immer wieder gehört haben.

1. „Hört auf, Flüchtlinge aufzulesen und sie nach Europa zu befördern. Ihr unterstützt die Schlepper.“
Wir sind kein Fährunternehmen. Wir kommunizieren nicht mit den Schleppern. Wir arbeiten unter der Leitung der italienischen Küstenwache und reagieren auf Notrufe nur dann, wenn wir dazu aufgefordert  werden. Unser einziges Ziel ist es, das Leben von Menschen – und vor allem von Kindern – zu retten, die vor Gewalt, Verfolgung und extremer Armut fliehen. 

Wir bewahren Menschen vor dem Ertrinken, und wenn wir mit unserer Arbeit aufhören würden, würde das lediglich zu mehr Toten führen. Das wurde 2014 bewiesen, als die EU die Gelder für Rettungsmissionen kürzte. Die Schlepper benutzten die gleichen gefährlichen Routen und in der Folge kam es 2015 zu mehreren schrecklichen Schiffsunglücken. Bei einem einzigen solchen Unglück starben damals fast 800 Menschen.

2. „Ihr ermutigt die Menschen zur Flucht.“
Wenn die Arbeit der Rettungsschiffe eingestellt wird, steigt die Zahl der Toten, aber es werden sich weiterhin Menschen auf den Weg nach Europa machen. Such- und Rettungsmissionen führen nicht dazu, dass mehr Menschen die Überfahrt über das Meer wagen. Es bedeutet lediglich, dass mehr Menschen diese Überfahrt überleben.

Diese Studie der Oxford University belegt, dass die Zahl der Überquerungsversuche mit und ohne Rettungsmissionen ungefähr gleich hoch blieb. Doch die Zahl der Todesfälle war genau dann am höchsten, als die Zahl der Rettungsmissionen besonders niedrig war.

3. „Hört auf, Terroristen nach Europa zu bringen.“
Die italienischen Behörden überprüfen und registrieren jeden, den wir retten. Alle sicherheitsbezogenen Aspekte sind Aufgabe der Behörden. Nach einer Rettungsaktion verfassen wir einen ausführlichen Bericht, aus dem die genaue Anzahl der Geretteten hervorgeht. Wenn unser Schiff das italienische Festland erreicht, werden diese Angaben von der italienischen Küstenwache genau überprüft.

4. „Es handelt sich bei den Flüchtlingen vor allem um erwachsene Männer.“
Immer mehr Kinder nehmen den gefährlichen Weg über das Mittelmeer. Die Zahl stieg im Jahr 2016 um 76%. Die Zahl der unbegleiteten Kinder verdoppelte sich 2016 im Vergleich zum Vorjahr. Kein Kind sollte auf der Suche nach einer besseren Zukunft ertrinken.

Wir arbeiten in den Ländern, aus denen die Kinder fliehen, und erklären ihnen die Gefahren dieser Fluchtroute. Insgesamt sind 94% der Kinder, die über die Mittelmeer-Route nach Italien kommen, alleine unterwegs.  Sie brauchen dringend Schutz, denn sie sind besonders gefährdet durch Menschenhandel, Missbrauch und Ausbeutung.

5. „Schickt sie zurück nach Libyen.“
Libyen kann nicht als sicherer Ort angesehen werden. Wenn Flüchtlinge nach Libyen zurückgeschickt werden, sind sie der Gefahr ausgesetzt, inhaftiert zu werden. Die Zustände in den Gefängnissen werden allgemein als unmenschlich angesehen. Es gibt Berichte, in denen Menschen davon erzählen, wie sie geschlagen, ausgepeitscht und an Bäumen aufgehängt wurden.

Wir haben unzählige Berichte von Frauen und Kindern gehört, die körperlicher und sexueller Gewalt ausgesetzt sind. Familien werden gewaltsam in die Länder zurückgeschickt, aus denen sie vor Verfolgung, Krieg, Vergewaltigung, Folter und Ausbeutung flohen. Wenn sie das Mittelmeer erreichen, haben viele Kinder bereits unvorstellbare Grausamkeiten erlebt. Viele sind verletzt oder traumatisiert und brauchen dringend Unterstützung. Diese Unterstützung können sie in Libyen nicht bekommen. 

Der einzige Weg das Sterben auf dem Mittelmeer zu beenden, sind sichere und legale Fluchtrouten  Das Versagen der EU hat dazu geführt, dass wir gemeinsam mit anderen humanitären Organisationen aktiv werden mussten, um weiteres Sterben auf dem Mittelmeer zu verhindern. Wir fordern von den EU-Staaten,  Italien mit Such- und Rettungsmissionen zu unterstützen. Das Retten von Leben sollte oberste Priorität haben. Solange dies nicht geschieht, werden wir unseren Einsatz fortsetzen. Denn wir können nicht zulassen, dass Menschen auf dem Mittelmeer sinnlos sterben. Wir sehen unseren Einsatz als unsere humanitäre Pflicht. 

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